III - Kapitel 2
29.Mar.24 .. 14:18 Uhr
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Hilfe, Technik

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Im Wald << Seite 1 >>

Es war eine der üblichen, langsam kälter werdenden klaren Nächte vor dem Ende der Trockenperiode. Paul sass mit Larup, dem Sohn von Roguli und Eld, im Wohnraum an einem kleinen Tisch bei einer Partie Transmitter.

Larup war fünfzehn Jahre alt und es sah so aus, als ob er die kräftige Statur seines Vaters bekommen würde. Den Charakter hatte er offenbar auch von ihm geerbt, er war ruhig und nachdenklich, manchmal hatte Paul das Gefühl, dass Larup erwachsener war als er selbst.

Abgesehen davon war er drauf und dran, ihn vom mühsam erkämpften siebenten Platz der Transmitter-Rangliste in Negs zu verdrängen.

Wieder einmal hatte Larup zu einer langen Kombination angesetzt, die Paul nur mit Mühe und nach längerem Nachdenken parieren konnte. Dann aber hatte er ihn in eine Falle laufen lassen und nun blickte der Junge grübelnd auf das Spielfeld.

Paul betrachtete ihn versonnen und mit einer grossen Zuneigung, dann kam er wieder einmal ins Sinnieren.

Er musste an seine Kinder denken, die irgendwo in einem fernen Universum lebten und vielleicht in diesem Moment an ihn dachten. Sein älterer Sohn war gerade in Larups Alter.

Rogulis Familie hatte Paul regelrecht adoptiert und diese Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Irgendwie machte ihn der Anblick des Jungen traurig und zuversichtlich zugleich. Seine eigenen Kinder waren verloren für ihn genau wie er für sie.

Trotzdem würde er nicht aus dem Leben verschwinden wie ein lauer und kühler Herbstwind, an den man sich schon einen Moment später nicht mehr erinnerte.

Hier war jemand, der Terkan sehen und erleben würde, der leben und lieben würde, Negs und ganz Terkan mit anderen weiter entwickeln könnte, der auch wieder anderen Knn und anderen Menschen begegnen würde - vielleicht - irgendwann, wenn er, Paul, längst nicht mehr lebte.

Im Wald << Seite 2 >>

Die Vergangenheit und die Geschichte seiner neuen Heimat war das universelle Erbe aller, die hier lebten, auch das seine. Die Zukunft aber würden die Jungen erleben, an deren Entwicklung er teilhaben und sogar mitwirken konnte, so wie er es auf der Erde gern bei seinen eigenen Kindern getan hatte.

Larup sah auf und bemerkte seine nachdenkliche Stimmung.

“Ich würde auch gerne einmal fremde Welten sehen wie du. Das muss doch unheimlich interessant sein!”, meinte er nach kurzem Nachdenken.

“Du schaust der fremden Welt gerade in die Augen”, sagte Paul, den Kopf auf die Faust gestützt.

“Du denkst wieder an deine Familie.”

Paul lächelte. “Ich habe jetzt euch.”

Dann lenkte er von seiner eigenartigen Stimmung ab. “Wie sieht’s aus, hast du einen Weg gefunden, mich doch noch in die Pfanne zu hauen?”

Der Junge sah aufs Spielfeld. Seine ursprünglich starke Position hatte sich nach einigem Figurenabtausch wieder in eine ausgeglichene Stellung verwandelt, so dass nun wohl keiner mehr gewinnen würde. Sie einigten sich nach kurzer Analyse auf ein Unentschieden.

Auf der Bank vor dem Haus saßen noch ein paar Leute, bei ihnen Oggrd, der sie häufig mit ihnen zusammen war. Larup verabschiedete sich zur Nachtruhe, etwas von einem anstrengenden Unterricht am morgigen Tag erzählend, aber Paul setzte sich noch nach draußen.

Andrus erzählte gerade ein paar Geschichten von einem Forschungsaufenthalt in der Toskana und begann von einer Eisdiele in Siena zu schwärmen.

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Das Leben in Negs lief seit vielen Monaten ab wie ein immer währender Kuraufenthalt für gestresste Manager. Die Menschen und die Knn fügten sich jeder auf seine Weise in die Gesellschaft von Negs ein, wenn man von den Verrückten im Wald absah.

Die waren schon fast vergessen, es gab so gut wie keine Kontakte zu ihnen. Nur Andra machte alle zwei oder drei Monate einen heimlichen Ausflug zum Wald, um sich mit Kado zu treffen; gelegentlich begleitete Paul sie. Kado tat Paul leid, schließlich musste er es mit den religiösen Eiferern der Neuen Allumfassenden Gemeinschaft aushalten. Andererseits war er ihre Versicherung gegen einen plötzlichen Überfall aus dem Wald und so unzufrieden schien er nicht zu sein, er hatte mit einer der hübschesten Frauen dort angebandelt.

Es gab hier wie dort keine existenziellen Sorgen, alles war ruhig und entspannt.

Paul genoss nach dem heißen Tag die kühle Luft und sah sehnsuchtsvoll wie so oft in den sterngefüllten Himmel.

Sie hatten mittlerweile den Himmel in neue Sternbilder unterteilt, genauer gesagt, hatten sie die Einteilung der Negser übernommen, aber er meinte immer noch, dass man doch ein paar von den alten irdischen erkennen müsse, und sei es auch ein wenig verzerrt. Eigentlich verrückt, schließlich wussten sie nicht einmal, ob sie im selben Universum waren wie die Erde, geschweige denn in der selben Galaxis.

Unbewusst fing er an, mit den Fingern auf die Flasche mit Wein zu klopfen: kurz – kurz – lang – lang - kurz – kurz.

“Nerv nicht, Alter” raunzte ihn Andrus an. “Du lauschst einem der grossen Erzähler der neueren Geschichte und passt nicht auf.”

Paul schaute irritiert zu ihm herüber, dann grinste er.

“Nervöse Zuckungen, das geht vorbei. In vierzig Jahren ist das wieder in Ordnung, sagt der Arzt.”

Andrus sah ihn prüfend an.

„Du hast wieder deine melancholischen Momente, wie?“

Paul hob nur die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern.

Im Wald << Seite 4 >>

„Tröste dich,“ fuhr Andrus fort, „mir geht es oft genauso, das weißt du. Ich bin eigentlich ganz zufrieden hier. Ein Leben ohne Not, man ist unter Freunden. Nur das Verhältnis zwischen Frauen und Männern, das scheint mir ein wenig verklemmt. Aber manchmal denke ich an meine Heimat, die Moore und Wälder von Saaremaa. Irgendwie ist das immer das selbe Gefühl von Gedanken an die Jugend, an eine warme Sommernacht frisch verliebt in den Armen einer Frau, redend, liebend, alles andere vergessend bis der Morgen graut und die Sonne über den Nebeln des Sees aufsteigt.“

Er hielt kurz inne und seufzte, dann fuhr er fort.

„Das sind auch Erinnerungen, die ebenso weit weg sind wie unsere Heimat. Von der Erde sind wir durch einen Abgrund von Raum getrennt, vom anderen durch einen ebenso unüberwindlichen Abgrund von Zeit. Die Sehnsucht nach dem Verlorenen bleibt, was man auch macht. Und man ist sie erst los, wenn man den letzten Atemzug getan hat.“

Paul legte seine Hand auf Andrus' Arm, sie hingen offenbar beide gelegentlich den selben Stimmungen nach.

Dann runzelte er die Stirn. Wieso hatte er eben dieses falsche SOS auf die Flasche getrommelt? Ein unbewusster Hilferuf?

Er sah wieder nach oben und betrachtete den Himmel.

Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, dann packte er noch einmal den Arm von Andrus.

“Was ist, Lust auf ein Kämpfchen?”, meinte der mit einem spöttischen Blick. “Ich brauche Opfer, keine Gegner.”

Paul zeigt nach oben, fast senkrecht über sich.

“Spinn ich oder siehst du das auch?”

“Oh, das ist aber interessant, ein veränderlicher ...”, 'Stern' wollte Andrus beginnen, dann sass auch er mit offenem Mund da.

“Nein, das kann nicht sein”, brachte er nur heraus.

Paul schüttelte den Kopf. Die anderen hatten die Aufregung der beiden bemerkt und schaute jetzt auch nach oben.

Bescheiden, aber unübersehbar blinkte es im Sternbild des Säufers: kurz – kurz – lang – lang - kurz – kurz – Pause von zehn Sekunden - kurz – kurz – lang – lang - kurz – kurz.

William standen fast die Tränen in den Augen.

“Die holen uns. Die holen uns!”

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Paul hob nur die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern.

„Tröste dich,“ fuhr Andrus fort, „mir geht es oft genauso, das weißt du. Ich bin eigentlich ganz zufrieden hier. Ein Leben ohne Not, man ist unter Freunden. Nur das Verhältnis zwischen Frauen und Männern, das scheint mir ein wenig verklemmt. Aber manchmal denke ich an meine Heimat, die Moore und Wälder von Saaremaa. Irgendwie ist das immer das selbe Gefühl von Gedanken an die Jugend, an eine warme Sommernacht frisch verliebt in den Armen einer Frau, redend, liebend, alles andere vergessend bis der Morgen graut und die Sonne über den Nebeln des Sees aufsteigt.“

Er hielt kurz inne und seufzte, dann fuhr er fort.

„Das sind auch Erinnerungen, die ebenso weit weg sind wie unsere Heimat. Von der Erde sind wir durch einen Abgrund von Raum getrennt, vom anderen durch einen ebenso unüberwindlichen Abgrund von Zeit. Die Sehnsucht nach dem Verlorenen bleibt, was man auch macht. Und man ist sie erst los, wenn man den letzten Atemzug getan hat.“

Paul legte seine Hand auf Andrus' Arm, sie hingen offenbar beide gelegentlich den selben Stimmungen nach.

Dann runzelte er die Stirn. Wieso hatte er eben dieses falsche SOS auf die Flasche getrommelt? Ein unbewusster Hilferuf?

Er sah wieder nach oben und betrachtete den Himmel.

Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, dann packte er noch einmal den Arm von Andrus.

“Was ist, Lust auf ein Kämpfchen?”, meinte der mit einem spöttischen Blick. “Ich brauche Opfer, keine Gegner.”

Paul zeigt nach oben, fast senkrecht über sich.

“Spinn ich oder siehst du das auch?”

“Oh, das ist aber interessant, ein veränderlicher ...”, 'Stern' wollte Andrus beginnen, dann sass auch er mit offenem Mund da.

“Nein, das kann nicht sein”, brachte er nur heraus.

Paul schüttelte den Kopf. Die anderen hatten die Aufregung der beiden bemerkt und schaute jetzt auch nach oben.

Bescheiden, aber unübersehbar blinkte es im Sternbild des Säufers: kurz – kurz – lang – lang - kurz – kurz – Pause von zehn Sekunden - kurz – kurz – lang – lang - kurz – kurz.

William standen fast die Tränen in den Augen.

“Die holen uns. Die holen uns!”

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Die Kontaktaufnahme funktionierte schnell und problemlos. Eilig hatten sie in der Nähe von Negs einen riesigen Holzstoß errichtet und in der folgenden Nacht angezündet.

Schon zwei Stunden danach änderte sich das Signal des „veränderlichen Sterns“ in eine komplexere Lichtzeichenfolge. Oggrd übersetzte, dass ein Landungsschiff in spätestens drei Tagen auf Terkan landen würde.

Für Menschen und Knn war es eine hektische Zeit des Organisierens und Planens, die Terkaner sahen alles ganz gelassen, man merkte ihnen höchstens ein wenig Spannung an, ob die Landung wohl diesmal klappen würde.

Es war ein imposantes Bild, als die Fähre auf Terkan landete. Zunächst sah man hoch über dem Horizont einen Feuerschein wie von einem Meteoriten. Dann begann ein ständig ansteigendes Geräusch, das wie eine Mischung zwischen einem tiefen Brummen und einem wilden Kreischen klang. Schließlich erkannte man zwischen dem Glühen der Bremsantriebe einen dunklen Punkt, der langsam größer wurde. Die beeindruckend große Fähre landete sanft und viel leiser als man es nach der imposanten Vorbereitung erwartet hätte etwa einem Kilometer von Negs entfernt.

Jetzt waren auch die Terkaner beeindruckt. Zwar hatten viele von ihnen das Wrack im Wald besichtigt – Paul hatte einige Male den Touristenführer gegeben – aber eine präzise Landung wirkte nun mal mehr als ein halbüberwuchertes Wrack.

Es stellte sich heraus, dass die Rettungsmannschaft wenig überrascht war, neben den Knn auch Menschen und Terkaner zu treffen. Zwar war den Knn eine direkte Kommunikation mit dem Heimatplaneten nicht möglich, aber der Bordcomputer der SUNJESTER hatte kurz vor der Explosion eine unbemannte Nachrichtensonde Richtung Knn geschickt. Sie hatte den Sprungpunkt korrekt getroffen und war mit allen Informationen über den Verlauf der Reise und das unglückliche Ende an ihrem Bestimmungsort angekommen. Die Rettungsaktion konnte gründlich vorbereitet werden; Zeit genug war vorhanden gewesen, da die beiden anderen Raumschiffe der Knn erst nach mehr als einem Jahr von ihren Missionen zurückgekehrt waren. Und jetzt kreiste die HNTN, das erste Schiff der Knn, um Terkan und wartete darauf, die Gestrandeten wieder in die Heimat zu bringen.

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„Ich hatte sowas gehofft, tief in meinem Inneren, aber ich habe nicht daran geglaubt“, sagte Oggrd. „Und ich wollte niemandem Hoffnungen machen, die sich nicht erfüllen würden.“ Nach kurzer Pause ergänzet er: „Und ihr hättet vielleicht nur gedacht, dass ich den Ruf der Knn wahren wollte.“

Paul lächelte ein wenig. „Oggrd, mein Freund, ich verstehe, dass ihr euer Gesicht wahren wollt, so seid ihr nun mal. Aber ich sage das nicht nur für mich: wir haben die größte Achtung vor euch. Ich bin sicher, dass wir Menschen das nicht zu einem so guten Ende hätten führen können. Niemals, niemals, niemals.“ Er gebrauchte wieder die knnsche besondere Bekräftigung.

Oggrd drückte seine Hand – freundschaftlich, dankbar, geehrt, nun, Paul würde die Knn wohl nie so richtig verstehen.

Er schaute hinter diesem ruhigen Fremden her, den er als seinen Freund ansah und wunderte sich wieder darüber, wie ähnlich sich die Lebewesen waren, die hier auf Terkan zusammen getroffen waren.

Hrrattl, der Kommandant der HNTN kam auf sie zu und Oggrd machte sie bekannt.

„Ich bin glücklich, alle hier von diesem Planeten wieder in die Heimat bringen zu können.“

Dann wandte er sich an Oggrd und sprach auf Knn weiter mit ihm. Paul konnt dem Gespräch gut genug folgen, um den Sinn zu verstehen.

Bei der Annäherung an Terkan hatte die HNTN Signale im Bereich von etwa einem Megahertz aufgefangen, die eindeutig von der Planetenoberfläche kamen. Kurz bevor die Signale aufhörten konnten sie noch ein winziges Flugobjekt orten, das wenig später im Sprungpunkt von Terkan verschwand.

„Wir haben den Kurs leider nicht genau genug bestimmen können um dem Ding mal nachzufliegen. Das Ding muss winzig klein gewesen sein, zwei bis drei Meter höchstens. Wir haben es einfach nicht genau verfolgen können.“

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Paul mischte sich ein.

„Ich glaube ich weiß woher die Signale kommen.“

Sein Knn war sicher ausbaufähig, aber Hrrattl war trotzdem erstaunt über seine Sprachkenntnis. Die weitere Kommunikation lief dann aber doch über Oggrd auf Englisch.

„Wir müssen mal mit ein paar ausgewählten Leuten zu dieser Metallplatte im Wald. Ein wenig technische Ausrüstung zur Analyse des Metalls und zur Überprüfung der Strahlung wäre auch nicht schlecht.“

Man entfernte sich unauffällig, was in dem Trubel auch ohne weiteres gelang. Mit einem geländegängigen Fahrzeug aus der Fähre kamen sie bis an den Rand des Waldes, dann ging es zu Fuß weiter.

Paul musste sich für seinen guten Orientierungssinn loben, denn er führte die zehnköpfige Gruppe fast ohne Umwege zu seiner Lichtung.

Auch auf der Lichtung fand er schnell die Stellen wieder, die er vor einem Jahr untersucht hatte. Mit vereinten Kräften stelten sie schnell fest, dass die Platte nur am Rand einen halben Meter dick war, der Rest maß weniger als 10 Zentimeter. Immer noch waren aber die Ausmaße beeindruckend: eine Metallplatte aus einem Stück mit der Größe von vier Fußballfeldern. Die chemische Analyse ergab, dass es sich um eine Legierung aus Eisen, Chrom, Molybdän, Niob und einigen Metallen aus der Gruppe der seltenen Erden handelte.

Herg staunte über die riesigen Ausmaße der Platte.

„Wir waren das nicht, das brauche ich wohl nicht zu sagen. Wozu dient das überhaupt?“

„Wir wissen es auch nicht, wir waren es nämlich auch nicht“, erwiderte Paul.

„Und von uns ist das auch nicht. Wir waren vor unserem Kurzbesuch vor vier Jahren auch noch nie hier“, sagte Oggrd.

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Hrrdrx, der Chemiker der Knn, bewunderte das Material.

„Das ist derartig glatt und widerstandsfähig, so ein Material gibt es auf Knn nicht, einfach unglaublich. Und keiner will es gewesen sein!“

Sie gingen zur Mitte der Platte und gruben an der Stelle, an der Paul die Lämpchen gefunden hatte. Sie blinkten immer noch unverdrossen vor sich hin.

Oggrd schaute nachdenklich auf die Zeichen.

„Auf irgendwelchen alten Bauwerken habe ich mal ähnliche Zeichen gesehen, glaube ich.“

Herg schüttelte den Kopf, ebenso Paul.

„Nie gesehen.“

„Wir sollten über die Tonnen reden“, schlug Andra vor.

Oggrd berichtete den beiden neu angekommenen Knn von den Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Tod Rastach Sunsis.

Hrrattl machte ein Gesicht, als hätte er schon eine Aufstellung für die Schlacht gegen die Tonnen im Kopf, Hrrdrx hingegen schüttelte verwundert den Kopf, stimmte aber den Hypothesen über die fremde Lebensform zu.

„Alles würde passen. Unsere fehlenden archäologischen Befunde, dasselbe gilt hier für Terkan. Und die fast vollständige genetische Übereinstimmung. Aber wozu? Und wo sind sie? Es muss auch hier in Negs, zumindest aber auf Terkan auch solche Lebewesen geben und dies ist die Kommunikationseinheit mit ihrer Heimat. Sie schicken ein kleines unbemanntes Raumschiff in regelmäßigen Abständen hierher, setzen Informationen hier an dieser Stelle ab, dann nehmen sie Informationen auf, die durch die hier lebenden Tonnen hier irgendwie eingegeben werden.“

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„Das funktioniert ja auch, ihr habt uns schließlich auch so gefunden“, meinte Andra. Dann, nach kurzem Grübeln, fuhr sie fort. „So könnten wir eigentlich auch eine Kommunikationsbasis schaffen für unsere drei Welten.“

„Aber wer schickt die Nachrichten von hier?“ fragte Kado.

Herg wirkte etwas beunruhigt.

„Heißt das, dass wir auch solche Lebewesen bei uns haben?“

Oggrd beruhigte ihn.

„Nicht unbedingt in Negs, vielleicht auch in Nök oder einer anderen Stadt, die nicht zu weit entfernt ist. Und wer weiß, welche Fortbewegungsmöglichkeiten die haben. Außerdem: bei den Menschen gibt es Tonnen, das ist sicher, und bei uns wird es auch welche geben, das ist wohl ebenso sicher. Und wir sind uns alle einig, dass sie uns nur beobachten.“

Neben ihnen ertönte ein kurzer Fluch auf Knn, dann riss sich Hrrattl das Headset seines Funkscanners vom Kopf. Aus dem Zigarettenschachtel großen Gerät stieg ein wenig weißgrauer Rauch.

„Das zum Suchen nach Funksignalen.“ meinte er ärgerlich, nachdem er vergebens gegen den Scanner geklopft hatte.

Paul sah ihn nachdenklich an.

„Das ist bei derselben Frequenz passiert, die ihr auch draußen aufgefangen habt.“ meinte er trocken.

Hrrattl dachte kurz nach, dann nickte er.

„Da haben wir wohl irgendeine Automatik in Gang gesetzt.“

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Da die Menschen die einzigen waren, die das feuchte Waldklima längere Zeit problemlos ertrugen, verließen sie den Wald und setzten sich in den Schatten einer kleinen Felsgruppe am Rand.

Es gab viel zu besprechen. Strengstes Stillschweigen über die Existenz der Tonnen wurde vereinbart, alle waren sich einig, dass auf den drei Welten eine kollektive Paranoia ausbrechen würde, wenn das bekannt wurde.

Die Grundlagen für eine Zusammenarbeit zwischen den Welten wurde formuliert, dazu gehörte vor allem eine Sicherung der Kommunikation zwischen den Völkern mit unbemannten Raumsonden. Hier würde die Erde mit ihren großen Resourcen an Menschen und Wirtschaftskraft die Hauptlast tragen müssen, und auf Terkan musste eine Technologie installiert werden, die auf lange Sicht auch von den Terkanern gewartet werden konnte.

Die wenigen Tage bis zum Abflug von Terkan vergingen schnell, es war genug zu tun. Die Waldmenschen, wie Paul und einige andere sie nannten, kamen nach Negs und wurden vor der Stadt in Notunterkünften untergebracht. Paul übte sich in der hohen Kunst, durch Leute hiondurchzusehen.

Einmal versuchte Mona, ihn anzusprechen.

„Sprechen Sie mit mir?“ fragte er und sah sie so kühl an, dass sie sich fast schon erschrocken abwandte. Wenn sich jemand seine Abneigung einmal verdient hatte, war er unversöhnlich. Er wusste, dass er so war, richtiger Stolz über diese Eigenschaft wollte aber nicht in ihm aufkommen.

Dann war es so weit, die Vorbereitungen für die Rückreise waren abgeschlossen.

Der Abschied von Terkan fiel Paul viel schwerer als er gedacht hatte. Als er sich von Roguli zum Abschied umarmte, konnte er die Tränen nicht zurückhalten. Jetzt würde er zu seiner Familie auf der Erde zurückkehren und verlor seine Familie auf Terkan. Wie es kam war es verkehrt.

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Wie hatte George Bernard Shaw so schön gesagt: Es gibt im Leben des Menschen zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.

Die Knn nahmen den Abschied gelassen – Gesicht bewahren, klar – ebenso viele Terkaner. Diejenigen, die gute Beziehungen oder sogar Freundschaften zu den Menschen geknüpft hatten mussten sich jetzt darauf einstellen, diese Freunde für immer zu verlieren, es war wie ein kleiner Tod.

Wie Hrrattl schon angekündigt hatte, blieben nur einige Mitglieder des technischen Personals der Knn blieben auf Terkan zurück, um die Grundlagen der zukünftigen Kommunikation zwischen den Welten zu legen.

Der Rückweg zur Erde war fast schon Routine für die Menschen. Die körperlichen Reaktionen bei der Reise durch die Sprungpunkte unterschieden sich beim zweiten mal nicht von denen beim ersten mal, aber die Gefühle waren doch andere.

Vertrieb ihnen vor gut drei Jahren Spannung und auch ein wenig Angst die Wartezeit, war es diesmal eine tiefe Freude, den schon verloren geglaubten Heimatplaneten wiederzusehen.

Natürlich hatten sich die Knn es nicht nehmen lassen, die Menschen zuerst „nach Hause“ zu befördern – schließlich waren sie an der misslichen Situation schuld, jedenfalls nach ihrem Ehrenkodex. Alle Argumente für einen Besuch von Knn hatten nicht gefruchtet. Allzu hart drangen die meisten Menschen ohnehin nicht auf diesen Umweg, dazu war die Sehnsucht nach der Erde zu groß.

Kaum eine halbe Stunde nachdem sie aus dem Sprungpunkt aufgetaucht waren, taumelten die ersten Menschen zu den optischen Erfassungssystem der HNTN. Mit Tränen in den Augen kamen einige zurück.

„Wir haben es geschafft! Wir sind wieder da!“

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Auch Paul gönnte sich einen Blick auf den blauen Planeten. Wie ein Edelstein hob sich die Erde vom tiefschwarzen Hintergrund ab. Oft schon hatte er diesen Vergleich gelesen, viele Bilder der Erde aus dieser Perspektive hatte er schon gesehen, aber es war doch ein unglaubliches Gefühl von Heimat, das er jetzt hatte.

Vor dem alten Haus standen seine Frau und die Kinder, die Taglilien blühten, die Sonne schien aus einem mit kleinen weißen Wölkchen gesprenkelten Himmel, Bienen und Hummeln brummten umher.

Paul öffnete die Augen wieder, der Geruch nach feuchter Erde verflüchtigte sich. Nun, er musste noch einige Tage warten, bis diese Vorstellung Wirklichkeit würde.

Die Ankunft der HNTN im Sonnensystem war ein Medienereignis. Vermutlich gab es keinen Menschen, der die Ankunft der Landefähre auf dem Stützpunkt Bluesky Airbase im Nordwesten von Texas verpasste. Die Einschaltquoten aller Fernsehanstalten waren sensationell, vor allem wohl deshalb, weil einige Knn mit auf die Erde gekommen waren.

Eigentlich spielte sich alles ab wie nach der Rettung einer Gruppe von Forschern aus einem plötzlich überfluteten Höhlensystem, nachdem schon niemand mehr damit gerechnet hatte, sie lebend wiederzusehen.

Der Empfang in der großen Empfangshalle war ergreifend. Überall lagen sich Menschen in den Armen, hier hörte man fröhliches Rufen, da ein glückseliges Schluchzen. Auch Paul schämte sich seiner Tränen nicht, als er seiner Familie in den Armen lag.

Seine Frau fand er kaum verändert. Als er sie in den Arm nahm hatte er das Gefühl einer warmen Vertrautheit, so als hätte er sich erst gestern von ihr verabschiedet.

Aber seine Kinder! Drei Jahre waren eine lange Zeit.

Seine Tochter Imogen war jetzt eine junge Frau, allerdings war ihr Lachen immer noch so wie er es auf Terkan oft vor Augen gehabt hatte. Seine Söhne Björn und Morten waren mittlerweile fast so groß wie er. Sie wirkten ernster als Imogen, aber ihre Umarmung ließen ihn spüren, dass sie ihn ebenso vermisst hatten wie er sie. Fasziniert begrüßten sie Oggrd und Brrzz, die Paul ihnen vorstellte.

Paul fand sich in einem Zustand fast trunkener Freude.

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Auch eine große Zahl von Verwandten und Freunden hatten sich die Rückkehr nicht entgehen lassen. Hier waren seine Geschwister, dort die Kollegen aus dem Institut, die William und ihn mit einem kleinen Transparent empfingen; irgendwas von den Eroberern des Weltalls stand drauf.

Die vielen Übertragungsgeräte der Fernsehanstalten machten das Durcheinander noch größer, aber das war schließlich die größte Sensation seit der feierlichen Einweihung der großen Pyramide in Gizeh.

Irgendwann hatte jeder jeden begrüßt, geküsst und umarmt, und die ersten Gruppen bewegten sich auf den Ausgang der Halle zu.

Der Zugang war gesichert worden, irgendwelche Verrückten hatten mit einem Attentat gedroht, weil sie angeblich den Tod aus dem All bringen würden. Die Folge war, dass alle durch eine Schleuse mussten, in der sie mit mehreren Sensoren abgetastet wurden.

Kurz vor Paul entstand etwas Unruhe, die Überwachungscrew schaute etwas fassungslos auf den Monitor. Paul fing einige Wortfetzen auf.

„Komisches Skelett – hier ist gar keins – aber keine Waffen oder so – hier habe ich den aber ganz normal!“

Paul sank langsam aus seiner Glückseligkeit zurück in die Realität und seine Alarmglocken klingelten. Er zog seinen Mobilen aus der Tasche und funkte Kado und Andra an, die erstaunlich schnell an der Sicherheitsschleuse erschienen.

Sie ließen sich die Bilder zeigen, dann fragte Kado hastig: „Wo ist die Person? Zu wem gehören diese Aufnahmen?“

Schnell war das Bild gefunden.

„Glen Sjöström!“ rief Andra und bewegte sich schnell durch die Menschenmassen, Kado und Paul folgten ihr auf den Fersen. Kado alarmierte im Laufen die Sicherheitscrew.

Sie kamen auf den großen Vorplatz, auf dem die Fahrzeuge warteten, die sie zum Empfang bei sämtlichen verfügbaren Präsidenten und Staatsoberhäuptern bringen sollte. Die ersten Gruppen standen um die Busse herum und warteten darauf, von den Stewards ihrem Fahrzeug zugewiesen zu werden.

Der Ausgang aus der Halle war sofort gesperrt worden, so dass sich nur etwa 200 Personen auf dem Platz befanden. So sehr aber die Sicherheitskräfte auch suchten, Glen Sjöström blieb verschwunden.

Andra bot eine Wette an.

„Tausend Euro gegen einen. Das war wieder so eine Tonne! Die sind hier auf der Erde, es muss einfach so sein!“

„Wir können hier aber jetzt die Pferde nicht scheu machen, schließlich weiß kaum jemand was überhaupt los ist“, meinte Kado verärgert.

„Das machen wir später, der gesamte Geheimdienst ihrer Majestät der amerikanischen Präsidentin wird uns zur Verfügung stehen“, beruhigte Andra.

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Paul war nicht überzeugt.

„Der weiß, das wir ihn entdeckt haben und wird sich irgendwo eine neue Tarnung zulegen! Und die Nachforschungen müssen geheim bleiben.“

Der Chef der Sicherheitscrew kam auf sie zu.

„Wir haben die Person nicht gefunden, sie ist nicht da! Uns entgeht da nichts. Auch die Überwachungskameras haben keine Anhaltspunkt ergeben.“

Kado zuckte mit den Schultern.

„Da haben wir uns wohl geirrt und Gespenster gesehen. Vergessen sie es einfach, unser Fehler. Wir sind wohl etwas übervorsichtig.“

Der Mann deutete einen militärischen Gruß an und lächelte verständnisvoll.

„Kann ich verstehen. Sie haben einiges erlebt in den letzten Tagen.“

Dann entfernte er sich.

Nicht zufällig trafen sich noch einmal die fünf Menschen, die von den Tonnen wussten mit Oggrd und Brrzz. Sie standen einfach nur im Kreis, sahen sich ernst und wortlos an und allen war klar, dass niemand ohne die Erlaubnis der anderen jemals etwas von diesem Geheimnis erzählen würde.

Ein Höhepunkt des Tages war die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen Hrrattl und Cristabel Sanjez, der Generalsekretärin der UNO. Die Einzelheiten waren schon während der Annäherung an die Erde geklärt worden, hier ging es nur noch darum, die Medienvertreter zu befriedigen.

Den Knn war der riesige Andrang an Kameras und Medienvertretern offenbar nicht recht geheuer, aber sie machten gute Miene zum guten Spiel. Sogar ein Lächeln rangen sie sich ab.

Weniger spektakulär als man es hätte erwarten können hob die Fähre der Knn dann wenige Stunden nach der Ankunft wieder ab.

Schnell gewann sie an Höhe, eine Zeit lang war sie noch auf den Bildschirmen zu sehen, dann waren die Knn verschwunden, so als wären sie nie da gewesen.

Paul sah zu seiner Familie herüber und hatte schon beinahe das Gefühl, als käme er nicht aus dem Weltall zurück sondern von einem längeren Abenteuerurlaub.

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Für die Expeditionsteilnehmer würde jetzt die Zeit der offiziellen Empfänge und Jubelfeiern in den Hauptstädten und den Heimatorten folgen, für die Wissenschaftler eine Zeit der intensiven Aufarbeitung der gewonnenen Daten und Erkenntnisse.

Langsam verließen die ersten Gruppen den Flughafen und gegen Abend saßen nur noch einige Reporter im Restaurant bei einem Kaffee und verfassten ihre Berichte. Der vielleicht bedeutenste Tag in der Geschichte der Menschheit endete kaum anders als der Tag des Pokalendspiels, aber die Welt würde nie wieder so sein wie zuvor. Die Einzigartigkeit der Menschheit war endgültig Geschichte.

Da wäre noch ein völlig unbedeutender Vorfall. Eigentlich gar nicht erwähnenswert.

Der Wachhabende auf dem Militärflughafen von Bluesky Airbase schaute in der Nacht nach dem großen Ankunftstrubel gelangweilt über die Bildschirme der Überwachungskameras. Der Vorplatz lag wieder ruhig in der warmen Sommernacht.

Dann schien sich an der Skulptur „Vier Formen“ von Art Moore etwas zu verändern. Ein Teil bröselte, nein, glitt herunter auf den Boden. Der Mann im Kontrollraum nahm die Bewegung zunächst nur aus dem Augenwinkel wahr, dann war ihm, als krieche im trüben Licht ein Schatten auf die Büsche in der Nähe zu.

Er zoomte die Stelle heran und schaute noch einmal genauer hin. Dann schüttelte er den Kopf.

Alles sah aus wie immer.

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