II - Kapitel 1
20.Apr.24 .. 01:44 Uhr
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Orte, Personen

Hilfe, Technik

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Der Asteroid << Seite 1 >>

Paul verließ an diesem denkwürdigen Tag sein Haus im Osten der Stadt wie an jedem anderen Tag, verabschiedete sich von Frau und Kindern und erfreute sich an dem herrlichen Morgen. Die Sonne schien aus einem fast wolkenlosen Frühlingshimmel auf das frische Grün der Hainbuche vor dem bescheidenen alten Reihenhaus, das sein Großvater vor fast hundert Jahren unter großen Mühen errichtet hatte. In dem kleinen Vorgarten wetteiferten zwei, drei Dutzend leuchtend orangerote Wildtulpen mit ein paar Trompetennarzissen um die Aufmerk­samkeit des Betrachters, unter dem Baum standen einige hellgelbe Hundszahnlilien. Er nahm sich vor, im Herbst eine große Tüte gefüllte Narzissen im Boden zu versenken, damit auch seine Nase an einem solchen Tag mehr zu ihrem Recht kam.

Er ging über die Fußgängerbrücke in Richtung Bushalte­stelle. Mitten auf der Brücke blieb er stehen und betrachtete die Fahrzeuge, die unter ihm in die Innenstadt hinunterfuhren. In der Ferne konnte er zwischen den Bäumen hindurch den Fernsehturm am Fluß in der Sonne leuchten sehen. Dann sah er auf die Uhr, auf der über einen kleinen Empfänger die Ankunft des Busses in zwei Minuten angekündigt wurde, und er beeilte sich, die Haltestelle zu erreichen.

Heute hatte er sich vorgenommen, auf dem Weg zur Arbeit noch einige Artikel in diversen Zeitschriften durchzulesen, um sie auf Verwertbarkeit hin zu überprüfen. Die Fahrt mit Bus und Bahn zu seiner Arbeitsstelle im Süden der Stadt dauerte zwar fast doppelt so lang wie mit dem Auto, aber so konnte er in Ruhe seinen Gedanken nachhängen und in seinem Portablen schmökern.

Neben einigen Artikeln über Modelle zur Berechnung der Klimaentwicklung - immer noch eine gehobene Art von Kaffeesatzlesen - interessierte ihn ein Bericht über die Entdeckung eines eigenartigen Asteroiden, der Licht emittierte und sich auf die Erde zubewegte.

Nachdem er in die Bahn umgestiegen war, vertiefte er sich in diesen Artikel, wobei ihm einige Ungereimtheiten auffielen. Zunächst waren die Schätzungen über die Flugrichtung des Himmelskörpers noch sehr ungenau. Dann fiel ihm auf, dass auch die Angaben über das emittierte Licht erstaunlich ungenau waren, “langwelliges Licht im sichtbaren Bereich über einer extrem langwelligen Grundschwingung”. Von der Zeitschrift ASTRONOMICS war er genauere Angaben gewöhnt, der Autor Ian McNabb konnte sich offenbar keinen Reim auf die Beobachtungen machen. Überhaupt, ein lichtemittierender Asteroid, das war so etwas wie ein karierter Elefant mit zwei Rüsseln.

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Er suchte in seinem Portablen nach ähnlichen Phänomenen im Bereich von Planeten und Planetoiden, aber Fehlanzeige. Nun hatte er natürlich auf dem kleinen, nur 3 Terabyte fassenden Speicher seines Portablen nicht die gesamte Literatur der Welt versammelt, er nahm sich daher vor, im Institut ein wenig im Netz herumzustöbern, dort hatte er mehr Ruhe als hier. So konnte er auch Kontakt zu Kollegen bekommen, die sich auf diesem Gebiet besser auskannten als er; wahrscheinlich ließ sich sogar der Autor des Berichts erreichen.

Er war so vertieft in seine Lektüre, dass er das kleine Signal aus seiner Uhr überhört hatte und beim Blick nach draußen feststellen musste, dass er seine Haltestelle verpasst hatte und an der nächsten aussteigen musste. Sein Ärger darüber hielt sich in Grenzen, auf diese Weise kam er noch zu einem kleinen Spaziergang.

Sein Arbeitsplatz lag in der Nähe eines Rokokoschlosses, durch dessen weit­läufigen Park er nun dem modernen Zweckbau zustrebte, in dem das Institut für Wirtschafts­wissenschaften untergebracht war

Als er ins Büro eintrat, sah er, dass er wie so oft der letzte war. Rainer grinste ihn an.

“Na, war gestern abend zu lang oder die Nacht zu anstrengend?”

Originelle Bemerkung, das. Manchmal gingen ihm Rainers ungeheuer witzige Sprüche schon etwas auf die Nerven.

“Du kennst doch die Bibel: liebe deine Nächste wie sie dich, und wenn’s sein muss, die ganze Nacht lang.”

Seine Antwort war also auch nicht viel besser, aber er hatte anderes im Kopf als ein leichtes Wortgeplänkel mit Rainer.

Ulli hob nur kurz die Hand zum Gruß, nachdem sie einen lautlosen Lachkrampf simuliert hatte. Dann starrte sie wieder konzentriert auf den Bildschirm, der vor ihr an der Wand lehnte. William war irgendwo im Haus unterwegs.

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Zu viert bildeten sie ein Team, das die hier arbeitenden Wirtschaftsexperten mit Information aus anderen Wissensgebieten versorgten; Paul selbst kümmerte sich um die Naturwissenschaften, Rainer um philosophische und gesellschaftswisenschaftliche Fragen, Ulli um technische Disziplinen und William um Sprachwissenschaften.

Sie hatten alle einen Überblick über die am Institut vertretenen Forschungsbereiche und entschieden, welchen Leuten sie welche Informa­tionen zukommen ließen. Sie waren eher Generalisten als Spezialisten. Paul hatte zwar eine naturwissenschaftliche Ausbildung, aber nie den Drang nach eigener Forschungsarbeit verspürt. Sein Interesse bestand darin, sein Wissen über seine Fachgebiete zu erweitern; da er gleichzeitig die Fähigkeit besaß, komplizierte Zusammenhänge auch naturwissenschaftlichen Laien kurz und verständlich darzustellen, konnte er hier seinem Hobby frönen und wurde noch dafür bezahlt. Die drei Kollegen hatten ähnliche Interessen und Anlagen wie er, und so bildeten sie ein Team, das vornehmlich die eigenen Wissenschaftler, aber auch andere wirtschaftswissenschaftliche Institute und Universitäten mit Hintergrundberichten und Zusammen­fassungen aus anderen Fachgebieten versorgte.

Irgendwann vor fünfzehn Jahren war man auf die Idee gekommen, dass für das in der Spitzenforschung notwendige vernetzte Denken auch die notwendigen Grundlagen aus anderen Wissensgebieten bereitgestellt werden mussten. Dieses Team war damals als ein zeitlich begrenzter Versuch geplant worden, mittlerweile erfreuten sich die Berichte, die über das globale Netz jedem Interessierten zugänglich waren, einer so großen Nachfrage, dass sie in dieser Zusammensetzung schon seit über zwölf Jahren zusammenarbeiteten. Das Beispiel hatte Nachahmer gefunden, so dass in Deutschland schon vier andere Teams dieser Art arbeiteten. Die Adressaten waren dort andere, er erinnerte sich an das weinselige Treffen mit einer Gruppe in Süddeutschland, die ein Institut für Ethik, Philosophie und Religionen mit entsprechend ausgewählten Artikeln versorgte.

Er setzte sich an seinen Computer und klinkte sich ins Netz ein, um nach der Kombination von Lichtemission und Planetoiden zu suchen. Nach weniger als einer Minute bekam er die Information, dass unter dieser Stichwortverbindung keine Veröffentlichung gefunden sei. Er war überrascht, denn zumindest der Artikel aus der ASTRONOMICS hätte eigentlich aufgeführt sein müssen. Er suchte in seinem Portablen nach dem Autor des Beitrags, schrieb ihm eine kurze Notiz mit der Bitte um weitere Information und schickte sie über das Netz nach Kenosha, Wisconsin.

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Beim Mittagessen in der Kantine unterhielt er sich mit William über dieses Phänomen.

“Du bist doch auch so ein kleiner Hobbyastronom, Will. Hast du schon mal von sowas gehört, ein strahlender Planetoid?”

“Unmöglich. Das soll doch bestimmt ein Komet sein, oder?”

“Die Astronomen scheinen sicher zu sein, dass es keiner ist, das Emissions­spektrum widerspricht dem völlig.”

“Wie groß ist das Ding denn?”

“Das ist auch eigenartig. In dem Artikel gibt es keine Größenangaben, die haben wohl nur eine Ortung aufgrund dieser Emission.”

“Na, das könnte doch genausogut irgendeine weit entfernte Licht­erschei­nung sein, eine Supernova für Arme vielleicht. Obwohl, deren Spektren sind doch seit über hundert Jahren analysiert.”

“Right, man. Erstens bewegt sich das Ding auf uns zu und zweitens ähnelt das Spektrum dem, was bei der Reaktion zwischen Materie und Antimaterie erhält. Sagt zumindest der Autor. Also, da wird doch wohl kein Antimateriebrocken auf uns zufliegen!”

William trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte, während er mit der Gabel im Kartoffelauflauf stocherte. Er fuhr sich mit der linken Hand durch seine dunklen Locken mit grauen Strähnen, ein Zeichen für intensives Nachdenken. Dann führte er genüßlich einen Bissen zum Mund und grinste.

“Das ist ein Raumschiff mit Warp-Antrieb. Erinnerst du dich an diese herrliche SF-Serie 'Raumschiff Enterprise'? Der Antrieb funktionierte glaube ich auch mit Materie und Antimaterie. Das kommt aus dem weiten Weltraum durch die endlosen Jahrhunderte zu uns zurück und bremst jetzt ab. Dabei zeigt der Antrieb natürlich in unsere Richtung und wir sehen ihn. Na, wie findest du das?”

Paul sah ihn halb nachdenklich, halb belustigt an. Interstellare Raumfahrt! Eigentlich eine Schnapsidee, und dann ausgerechnet als Ziel die Erde, ein kleiner Planet einer unbedeutenden Sonne in einem abgelegenen Winkel einer unbedeutenden Galaxie. Das Dumme war nur, ihm fiel auch keine bessere Möglichkeit ein, die Beobachtung zu deuten.

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“Übrigens, Will, ich habe eben versucht, im Netz Informationen zu diesem Thema zu bekommen, da war nichts, nicht mal dieser Artikel. Ist da irgendwas im Suchprogramm defekt, ein Virus oder sowas?”

“Ich hatte heute noch keine Probleme, das kann aber Zufall sein. Wir testen das gleich mal.”

Während sie ins Büro zurückgingen, unterhielten sich über Frau und Kinder, über die Ferienplanung, über das geplante gemeinsame Essen im “Alten Steinweg”.

Ihr Versuch, dem Netz weitere Information zu entlocken, endete mit einem Fehlschlag. Ihr Erstaunen wuchs, als sie versuchten, den Artikel aus den ASTRONOMICS direkt zu laden, nichts geschah. Vollends überrascht waren sie, als sie in Williams Portablen nach dem Artikel suchten. Die Ausgabe der ASTRONOMICS war vorhanden, aber jeder Hinweis auf diesen Artikel war gelöscht. Paul fing an, an seinem Verstand zu zweifeln, aber in seinem Portablen war der Artikel vorhanden; auch William sah ihn, es konnte also keine Halluzination sein. Nun, es gab dringenderes zu tun, und sie wurden nicht dafür bezahlt, abwegigen Artikeln über eigenartige Phänomene nachzugehen. Paul arbeitete weiter an einer Zusammenfassung zum Thema langfristige Klimaentwicklung, William bearbeitete einige Artikel über die Struktur einiger abgeschiedener Gesellschaften im asiatischen Hochland.

Er hatte vielleicht zwei Stunden an seinem Artikel gearbeitet, als oben links im Bildschirm das Zeichen für einen dringenden Posteingang auftauchte. Erfreut stellte er fest, dass der Absender Ian McNabb, der Autor des eigenartigen Artikels war, der ihn seit heute morgen beschäftigte. Prompte Bedienung nennt man sowas, dachte er sich. Er rechnete kurz nach, es musste im Osten der USA gerade Frühstückszeit sein, der Mann hatte es aber wirklich eilig.

Die Nachricht war kurz, McNabb wollte unbedingt seine Telefonnummer und unbedingt sofort. Dem Manne konnte geholfen werden.

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Fünf Minuten, nachdem er die Nummer übermittelt hatte, läutete sein Telefon. Am Apparat war nicht der Astronom, sondern ein Oberst von Schneider der US Airforce. Er kam unvermittelt zur Sache.

“Woher haben Sie diesen Artikel der ASTRONOMICS?”

Irgend etwas schien mit diesem Artikel wirklich nicht zu stimmen.

“Ich bin Abonnent dieser Zeitschrift, ich arbeite an solchen Themen.”

“Der Artikel wurde aus der ASTRONOMICS gelöscht!”

“Bei mir war er drin. Bei meinem Kollegen, der sie auch abonniert hat, fehlt er allerdings; auch im Netz scheint er nicht greifbar zu sein. Ist der Artikel etwa fehlerhaft?”

“Nein. Er wurde aus anderen Gründen gelöscht. Wir fragen uns, wieso nicht bei Ihnen.”

Der strenge Ton nervte gewaltig.

“Guter Mann. Ich habe diese Zeitschrift bezogen wie in jedem Vierteljahr. Da ich nicht der Herr über Raum, Zeit und alle denkbaren elektronischen Schaltkreise bin, muss der Fehler wohl bei Ihnen liegen. Und dass ich legaler Abonnent bin, können sie sicher in einer Ihrer Dateien nachsehen.”

“Wie ist denn genau Ihr Name? Ich habe hier nur die Telefonnummer.”

“Aabdahl, Paul Aabdahl.”

Es dauerte eine kleine Weile, dann meldete sich die strenge Stimme vom anderen Ende wieder, diesmal etwas freundlicher.

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“OK. Ich habe einen Verdacht, weshalb sie die ursprüngliche Fassung der Zeitschrift bekommen haben. Sie sind in der alphabetisch sortierten Liste der erste Abonnent weltweit und bekommen ihr Exemplar immer zuerst übermittelt. Da hat wohl dann einer den Fehler gemacht, die erste Überspielung zu lesen und erst ab der zweiten zu löschen. Entschuldigen Sie bitte meine Unhöflichkeit vom Beginn, aber wir sind hier in heller Aufregung wegen dieses Vorfalls.”

“Schon gut”, meinte Paul und wollte nach einem kurzen Gruß auflegen, aber der hektische Ausruf vom anderen Ende ließ ihn innehalten.

“Moment, Herr Aabdahl, legen sie nicht auf. Es ist sehr wichtig, dass nichts von dem Vorfall bekannt wird, erzählen sie niemandem davon. Können wir uns vielleicht über ein abgesichertes Videophon unterhalten? Wenn man sich sieht, dann fällt das Gespräch auch leichter.”

Was sollte nur diese Geheimniskrämerei! Handelte es sich um eine neue Super­waffe? Diese Militärs!

“Kein Problem, ich arbeite in einem Forschungsinstitut, ich muss nur in einen Nebenraum gehen. Ich habe mich allerdings schon mit einem Kollegen über den Artikel unterhalten, weil ich mir keinen Reim darauf machen konnte.”

Am anderen Ende hörte er einen Fluch.

“Bringen Sie bitte diesen Kollegen auch mit, falls das geht.”

Er ging mit William drei Räume weiter, da das Institut noch nicht die neueste hochwertige Bild­übermittlung an den Computern hatte. Sie waren kaum dort angekommen, als auf dem Schirm an der Wand schon ein Gesicht mit Uniform darunter auftauchte. Kräftiges, breites Kinn wie ein Nußknacker, kurzer Schnauzbart, für einen Militär ziemlich lange blonde Haare, energischer, bestimmender Blick. Etwas zu kernig für Pauls Geschmack, das ganze, aber der Mann wirkte nicht unsympathisch.

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“Vielen Dank, meine Herren. Wir sind hier wirklich sehr aufgeregt über diese Sache. Auch der Verteidigungsminister und der Präsident wissen Bescheid. Haben Sie eigentlich eine Theorie über diesen Himmelskörper.”

Paul und William sahen sich an. Der Präsident, wer wohl sonst sollte benachrichtigt werden, wenn da in einer Zeitschrift ein Artikel unautorisiert veröffentlicht wurde. Das war ja auch wirklich unerhört, der musste mal wieder Ordnung in diesen Laden USA kriegen. Sie schüttelten den Kopf, Will antwortete aber trotzdem.

“Wir haben keine vernünftige Theorie. Ein Meßfehler vielleicht, ein defektes Meßgerät. Oder, aber das nicht im Ernst, Besucher aus der Galaxis, deren Schiff mit Warpantrieb fliegt.”

Er grinste, aber nur kurz. Sein Gegenüber auf dem Bildschirm verlor sichtbar an Farbe.

“Das haben wir befürchtet.” Dann ein paar englische Flüche. “Behalten Sie diese Theorie unbedingt für sich, denn sie ist richtig. Ich werde mich schnellstens mit ihnen persönlich in Verbindung setzen, nach ihrer Zeit werde ich ...”, er sah auf seine Uhr, “ ... morgen früh bei ihnen im Institut sein, allerdings ohne Uniform. Bitte sprechen Sie mit niemandem darüber.”

Paul fand als erster die Sprache wieder.

“Sie verkaspern uns!”

“Wie meinen Sie?”

“Sie wollen uns auf den Arm nehmen. Kleine grüne Männchen, das ist nicht Ihr Ernst.”

“Die befinden sich seit drei Wochen am Rande der Vorderseite des Mondes. Seit zwei Wochen haben sie Kontakt mit uns und versuchen, sich mit uns zu verständigen. Wenn das allgemein bekannt wird, bricht eine Panik aus, weil es genügend Wirrköpfe gibt, die zum großen Verteidigungskrieg für die heilige Mutter Erde aufrufen, und das muss verhindert werden. Bitte schweigen Sie. Unbedingt!”

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Sie sahen den Mann auf dem Bildschirm ernst und zweifelnd an. Dann nickten Sie und der Bildschirm wurde wieder dunkel.

“Will, deine Genialität ist offenbar nicht mehr zu steigern. Raumschiff Enterhaken! Glaubst du auch nur ein Wort?”

“Der Mann sah nicht wie ein billiger Komödiant aus. Aber trotzdem, wir recher­chieren mal, ob es diesen von Schneider wirklich gibt.”

Ihr Versuch, die ganze Sache als dummen Scherz zu enttarnen, schlug fehl. Wo sie auch im Netz nachforschten, von Schneider und auch McNabb waren authentische Personen.

Als Paul am nächsten Morgen im Institut aufkreuzte, wurde er in der Eingangshalle bereits vom Oberst erwartet, der ihn freundlich anlächelte. Der Mann war ein Hüne, so groß wie er selbst, aber etwas breiter, und wirkte wie ein übriggebliebener Wikinger. Er sah heute allerdings nicht ganz so dynamisch aus wie am Vortag, aber das konnte an dem anstrengenden Flug liegen, den er hinter sich hatte.

“Hallo, Herr Aabdahl. Von Schneider, ich hoffe, die Übertragung gestern war gut genug, dass sie mein Gesicht erkannt haben. Kommen Sie, ihr Kollege erwartet uns bereits in einem Zimmer im ersten Stockwerk.”

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Es wurde ein längerer Vortrag über die schnelle Entwicklung der Ereignisse. Der Bericht von McNabb war vor zwei Monaten zur Veröffentlichung bei der ASTRO­NOMICS eingereicht worden. Kurz vor der Auslieferung hatte man im amerikanischen Verteidigungsministerium davon erfahren, nachgefragt und durch eine präzise Bahnberechnung festgestellt, dass es sich um einen angetriebenen, genauer gesagt abbremsenden Himmelskörper handelte, der auf eine stark exzentrische elliptische Umlaufbahn um die Sonne einschwenkte. Ein kleineres Flugobjekt war in Richtung Mond geflogen und war dort gelandet. Nur vier Tage später, vor sechzehn Tagen, begann der Versuch der Kontaktaufnahme. Zunächst wurden Bilder übermittelt, und zwar in derselben Form, wie auch die Menschen gegen Ende des letzten Jahrhunderts versucht hatten, Nachrichten ins All zu senden. Die Fremden funkten eine Zahl von Nullen und Einsen zur Erde, die sich eindeutig als Produkt zweier Primzahlen darstellen ließ; in diesem Fall waren es 809 mal 1009 Punkte. Der Trick hierbei war, dass sich diese Punkte eindeutig rechteckig anordnen ließen. Das Ergebnis waren Abbildungen mit einer Auflösung, die verglichen mit heutigen Verhältnissen ziemlich armselig war, sie war so gut wie in der Zeit der ersten annehmbaren Schwarzweiß­bild­schirme. Immerhin, die Darstel­lungen waren gut erkennbar. Das Verfahren hatte überdies den Vorteil, dass von der Erde innerhalb kurzer Zeit Bilder im gleichen Format zurückgefunkt werden konnten. Von Schneider kramte in seiner Tasche nach seinem Portablen.

“Ich habe Ihnen selbstverständlich eine Menge Bilder mitgebracht, Herr Aabdahl und Herr Campbell.”

William griff aufgeregt nach dem Computer, während Paul sich an den Obersten wandte.

“Wir reden uns hier im Institut nur mit unseren Vornamen an, ich weiß manchmal kaum noch, wie William mit Familiennamen heißt. Ich glaube, bei Ihnen macht man es ähnlich, oder? Also, er heißt William, ich heiße Paul.”

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“Karl Delaware von Schneider, man nennt mich allerdings nach meinen Initialen meist Kado. Meine Eltern stammen aus Österreich, daher der gewaltige Vorname Karl. Daher übrigens auch meine Kenntnisse der deut­schen Sprache.”

Dann fiel Paul auf, dass William überhaupt nichts sagte, sondern nur fassungs­los und kopfschüttelnd auf den Bildschirm sah. Endlich fand er seine Sprache wieder.

“Oberfaul, das Ganze. Da erlaubt sich doch einer einen Scherz. Hier, Paul.”

Paul starrte auf das Bild, das William ihm übergab. In einem Raum voller Anzeigegeräte, Steuerknüppel und Lämpchen saß in einem Sessel ein Mensch oder etwas sehr ähnliches und sah ihn an. Die Nase war etwas breiter, Kinn und Stirn etwas fliehender als beim durchschnittlichen Menschen, die Figur wirkte kräftiger, obwohl man sie nur im Sitzen sah. Der Gute sah aus wie ein zivilisierter Neandertaler.

Das nächste Bild zeigte eine Steppenlandschaft, dann kamen einige Häuser mit flachen Dächern, die sich nicht wesentlich von denen auf der Erde unterschieden, schließlich das Bild einer großen Stadt. Auf dem letzten Bild waren offenbar Einzelheiten des Körperbaus dieser angeblichen Außer­irdischen zu sehen, und dies ließ Paul dann auch stutzen.

“Bestes Hollywood, aber ziemlich phantasielos”, meinte er, als er Kado den Portablen zurückgab. “Die haben ja die Innereien wie wir: Herz, Magen, Darm, Gehirn, alles wie bei uns. Und die sollen aus dem Weltall kommen?”

“Das haben wir auch gedacht. Aber das Raumschiff ist Realität, wir haben auch mit Hilfe unseres Weltraumtele­skops ein ganz ordentliches Bild davon errechnen lassen. Hier.”

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Kado gab den Computer zurück. Eine technische Zeichnung war zu sehen. Sie zeigte ein Gerüst von gut einem halben Kilometer Länge, an dessen Ende ein parabelförmiges Schild zu erkennen war. Die Spitze des Gerüsts schien abgeflacht zu sein.

Paul pfiff durch die Zähne.

“Ein elegantes Teil. Ach übrigens, hat in den letzten Tagen mal jemand nach dem Eiffelturm gesehen?”

Ein schwaches Lächeln huschte über Kados Gesicht, dann tippte er auf einige Tasten.

“So, jetzt kommt der Clou. Das Bild haben die uns als eines der ersten über­mittelt.”

Eine der vorigen sehr ähnliche Zeichnung erschien, ohne die Bemaßung, dafür aber mit mehr Einzelheiten.

“Auch das Schiff auf dem Mond haben wir mit einem Weltraumteleskop geortet, allerdings sind die Lichtver­hältnisse an der Stelle des Mondes schwierig. Die senden mit so geringer Stärke, dass wir die Nachrichten nur entdeckt haben, weil wir vorgewarnt waren. Es wissen nur ungefähr 40 Leute von der Sache, und das sind alles keine Witzbolde. Wir waren auch unter einem Vorwand in drei anderen Empfangseinrichtungen, haben aber dort dieselben Signale gemessen wie bei uns. Wir müssen davon ausge­hen, dass alles echt ist. Und bedenkt, das Raumschiff!”

William grinste spöttisch.

“Das wird ein schöner Schock für unsere Ufologen. Keine kleinen grünen Männchen, keine ätherischen grauen Gestalten mit Wasserköpfen oder tonnenförmige Monster mit acht Fingern an jeder Hand. Menschen wie du und ich!”

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Kado sah William und Paul ernst an.

“Ich möchte euch bitten, mit mir zu kommen. Wir ziehen im Moment alle Leute, die von der Sache wissen, in der Nähe von Inverness in Schottland zusammen. Es gibt dort Empfänger für die Botschaften vom Mond, genügend Computer, eine komfortable Unterkunft, ein Observatorium und eine schöne Umgebung.”

William runzelte die Stirn.

“Wir sind keine Experten für extraterrestrisches Leben und gehören sowieso nicht zur Speerspitze der Forschung. Wir schreiben Artikel für Wirtschafts­wissenschaftler zusammen, das ist alles. Was sie brauchen, sind doch wohl eher Spezialisten für Raumfahrt, für Kommunikation, für Astronomie, für Medizin und was weiß ich noch. Oder wollen Sie uns nur unter Kontrolle halten?”

“Das mit der Kontrolle ist auch ein Aspekt”, gab Kado offen zu. “Wir haben uns sofort gestern sehr gründlich über euch kundig gemacht, außer der Fliesenfarbe in euren Toiletten wissen wir fast alles. Ihr habt doch einen ausge­zeichneten Überblick über den Stand der Forschung auf vielen Gebie­ten. Ihr sollt in euren Fachgebieten eine Koordinations­funktion über­nehmen. Ihr sucht die Fachleute, die uns in bestimmten Fragen helfen können, ihr wisst schließlich, wer was taugt, und das nicht nur auf einem kleinen Spezial­gebiet. Eure Teams gibt es bisher ja nur in Deutschland und England, aber wir sind auch in den USA dabei, solche Teams an bestimmten Instituten einzurichten, das ist sehr sinnvoll.”

“Ist diese Bitte um Mitarbeit so eine Art Befehl”, erkundigte sich Paul.

Kado wand sich etwas.

“Ich soll euch überzeugen, mitzukommen, so lautet mein Auftrag. Ihr würdet mich glücklich machen, wenn ihr es als eine Art Ferienaufenthalt auffasst. Ich glaube nicht, dass es noch wesentlich länger als zwei Monate dauert, bis der Kontakt soweit hergestellt ist, dass diese Arbeitsgruppe wieder aufgelöst werden kann.”

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Paul und Will sahen sich an und zuckten resigniert mit den Achseln.

“Arbeitsgruppe, das heißt Kasernierung der Mitwisser! Wir fordern aber Bedenk­zeit.”

Während Oberst von Schneider sich in einen Ruheraum zurückzog, um sich ein wenig von den Strapazen des für ihn schon sehr langen Tages zu erholen, verbrachten Paul und Will den Vormittag damit, lange mit ihren Frauen zu telefonieren.

Mittags trafen sie sich in der Institutskantine. Während des Essens plauderten sie über Belanglosigkeiten. Sie stellten fest, dass sie eine Schwäche für die schottische Hauptstadt Edinburgh hatten, sie waren alle irgendwann in den letzten zwanzig Jahren einmal dort gewesen.

“Ihr kennt alle den Royal Botanic Garden in Edinburgh. Ich kann euch versprechen, dass der Park um das Institut in Inverness fast ebenso schön ist. Habt ihr euch entschieden, ob ihr mitkommt?”

Paul lächelte säuerlich.

“Du meinst, ob wir freiwillig mitkommen oder mit Zwang! Also die Begeiste­rung meiner Familie hält sich in Grenzen, aber ich habe ihnen klargemacht, dass ich keine große Wahl habe.”

“Ich komme auch freiwillig mit, aber auch nur weil ich mir den schönen Park ansehen will. Es müsste eigentlich langsam die Maiglöckchenblüte anfangen”, ergänzte Will.

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