II - Kapitel 8
24.Apr.24 .. 16:16 Uhr
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Teil II
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Orte, Personen

Hilfe, Technik

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This Ain't the Summer of Love << Seite 1 >>

Paul erwachte und erschrak zunächst, als er in die neugierigen Augen eines der riesigen Rinder schaute. Es hatte ihn vorsichtig mit dem Horn angeschubst, davon war er wach geworden.

Sein Schreck wandelte sich schnell in gute Laune, diese Tiere hatten ihn immer schon fasziniert.

"Da staunst du, jetzt hast du einen neuen Stallgefährten", sprach er das Tier an, ein leises Muhen kam zurück. Es schien, als würde er verstanden.

Paul reckte sich, dann erhob er sich von seinem Nachtlager. Er grinste noch einmal das Rind an, wobei er sich etwas blöd vorkam, klopfte ihm gegen den Hals und sog die Luft im Stall ein. Es stank fast gar nicht, hatten die Negser den Kühen den Geruch abgezüchtet? Nun, nicht sein Problem. Obwohl, das gehörte auch zu den Ungereimtheiten von Terkan.

Er trat aus dem Stall und schaute in den sonnigen Morgen. Der Hof befand sich umgeben von kleinen Bäumen auf einer kleinen Anhöhe, gegenüber dem Stall befand sich das Wohnhaus, vor dem sich Roguli und Herdo die Sonne ins Gesicht scheinen liessen. Links konnte er über Weiden und Felder sehen, weiter entfernt bewegte sich der Fluss träge durch die Ebene. Weit rechts lag Negs, einige hundert Meter höher als der Hof, noch weiter entfernt sah er einige grosse Gebäude und Windmühlen, die sich im sanften Wind drehten.

Roguli winkte ihm und er ging zu den beiden Männern hinüber.

"Ausgeschlafen?", fragte ihn Herdo.

"Danke, zum ersten mal seit Tagen habe ich wieder ruhig geschlafen."

"Drinnen gibt es Frühstück."

Er grüsste Herg, Eld und Adala, die Frau von Herdo, die am Tisch saßen. Sie deuteten auf den leeren Platz, auf dem etwas Obst, Getreideflocken, Brot und eine Tasse Tee standen.

'Erstklassiger Service', dachte Paul und bedankte sich.

Während er aß, unterhielten sich die anderen über die Arbeiten, die am bevorstehenden Tag anlagen.

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Der Weizen stand gut, er war reif zur Ernte. Die anderen fragten ihn, ob er nicht Lust hätte, die Ernte zu übernehmen. Die mechanischen Mäher wurden von den grossen Rindern gezogen; da er die Tiere ausgesprochen sympathisch fand, nahm er das Angebot gern an.

Zunächst arbeitete Herdo noch kurze Zeit mit ihm, um die Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken, aber er kam schnell allein mit der Technik und seinen pelzigen Helfern zurecht.

Die Technik der Negser war einfach, aber gemessen am technischen Entwicklungsstand optimal. Eisen war selten auf Terkan - genauer gesagt waren die sicher vorhandenen Lagerstätten den Bewohnern nicht zugänglich, das meistverwendete Metall war daher Messing, da sowohl Kupfer wie auch Zink in ausreichender Menge im Gebirge gewonnen wurde. Die Arbeit dort war nicht beliebt, da sie anstrengend und relativ gefährlich war, häufig wurde sie deshalb bei Verstössen gegen die negser Rechtsordnung zugewiesen.

Die Arbeit auf dem Feld war trotz dieser beeindruckenden Tiere - sie wechselten sich sogar selbständig bei der Arbeit ab - ziemlich eintönig. Mähen mit der ersten Maschine, sammeln und binden der Halme mit einer zweiten, dann das Verladen auf die grossen Karren. Trotzdem begann er sich wohlzufühlen. Erstaunlicherweise hatten die Negser, die ihn hier aufgenommen hatten, keine Vorbehalte gegen ihn; offensichtlich waren sie davon überzeugt, dass er nicht zu Kunolds Gruppe gehörte.

Kunold! Der machte ihm schon Sorgen, aber hatte sich noch nicht gerührt. Nun, wahrscheinlich hatten sie es sich anders überlegt und sahen von einem Angriff ab, weil sie nur wenige Pistolen oder Gewehre besaßen und die Zahlen zu eindeutig für die Negser sprachen.

Ihm blieb eigentlich nichts anderes übrig, als die Entwicklung zu beobachten, machen konnte er ohnehin nichts. Es war ihm eigentlich ganz recht; ein Kämpfer war er nie gewesen, in Auseinandersetzungen war er - wenn überhaupt - bestenfalls mal hineingeraten. Der Streit, der ihn aus dem Wald getrieben hatte, war da ein gutes Beispiel; hätte er die Klappe nicht so weit und unbedacht aufgerissen, säße er jetzt gemütlich im Wald und könnte jeden Abend neben Mona einschlafen.

Nun, bis auf das letzte war es hier auch nicht schlecht.

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Schon am zweiten Tag fuhr er allein hinaus zur Ernte, was ihn befriedigte. Er war zumindest kein unnützer Esser, sondern ein vollwertiges Mitglied der kleinen Gemeinschaft. Die Tage gingen ruhig dahin wie der langsam dahindümpelnde Fluss. Er stand auf, er frühstückte, er arbeitete, er aß zu Mittag, er arbeitete weiter, er aß zu abend, er saß mit den anderen zusammen, man erzählte Geschichten, man spielte, man sang, man trank ein wenig, dann ging er zu Bett.

Und irgendwo in einer fernen Welt lebte seine Familie und wartete vergebens auf seine Rückkehr. Jetzt, wo er ein wenig zur Ruhe gekommen war, saß er oft grübelnd auf dem Sitz des Mähers. Es fiel ihm schwer, von seiner Familie innerlich Abschied zu nehmen, es war für ihn so, als seien sie gestorben. Er hoffte, dass sie auch ohne ihn zurechtkamen, für sie war es eigentlich kaum anders, als hätte er sich von seiner Frau scheiden lassen. Die hatten schließlich noch einander, aber wie war seine Perspektive hier? Irgenwann wäre er tot, verschwunden, weg, keiner würde sich an ihn erinnern. Vielleicht löste sich ja das Problem mit Kunold irgendwann, so dass er wenigstens mit den anderen Menschen wieder zusammenleben könnte. Und irgendwann würde man den Negsern auch mal reinen Wein einschenken müssen, was ihre Herkunft betraf.

Er war vielleicht zwei Wochen auf dem Hof, als er abends beim Heim kommen seine negser Gastgeber nicht in der üblichen gelösten Stimmung vorfand.

"... schon wieder welche aus dem Wald vor der Stadt ...", hörte er Herdo noch sagen.

"Wer läuft vor der Stadt herum?" fragte Paul.

"Kleine Gruppen von drei oder vier deiner Leute. Die laufen seit einer Woche mal auf der einen, mal auf der anderen Seite von Negs herum und scheinen uns zu beobachten."

"Warum habt ihr mir das nicht sofort erzählt? Und was heißt überhaupt 'deine Leute'?"

"Wir haben schon zweimal einen unserer Soldaten in der Nähe dieser Gruppen gehabt. Die haben zwar gelauscht, aber natürlich nur einzelne Worte verstanden."

Wie auch! Ihn hätten sie mitnehmen sollen. Was mochten diese Trupps nur vorhaben? Ausspähen, wo und wie man angreifen könnte? Möglicherweise wie man auch unbemerkt in die Stadt kommen könnte? Sabotage? Das letzte wäre zwar an Blödheit nicht zu überbieten, da es die Lebensgrundlagen der Menschen und Knn ebenfalls gefährden würde, aber Kunold war an Blödheit auch kaum zu überbieten.

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Er musste wissen, was da gespielt werden sollte. Irgenwie hatte er da Gefühl, dass der geruhsame Zeit als reiner Beobachter der Entwicklung vorbei war.

"Nehmt mich bei eurem nächsten Spähtrupp mit, ich verstehe schließlich, was die sagen", sagte er.

Kunolds Angriff ließ auf sich warten. Die lange Wartezeit ließ auf eine gründliche Vorbereitung schließen. Vielleicht glaubten die entscheidenden Leute aber immer noch, dass er irgendwo als Leiche im Wald herumlag.

Paul machte sich allerdings Gedanken, wie man auf einen solchen Angriff reagieren könnte. Wie könnten die überhaupt angreifen? Heimlich oder frontal? Kanonen würden sie sicher nicht bauen, aber Sprengstoff? Bisher lebten sie in dieser Beziehung offenbar von geringen Mengen, die beim Absturz übriggeblieben waren und mit den hier vorhandenen einfachen Mitteln würden sie sicher keine wirklich brisanten Explosivstoffe herstellen können. Fast alle erforderten als Grundstoff konzentrierte Salpetersäure, und die war hier nicht in ausreichenden Mengen herzustellen, zumindest nicht in kurzer Zeit.

Ansonsten blieb nur Schwarzpulver: Holzkohle, Schwefel und Salpeter. Holzkohle war kein Problem. Beim Schwefel musste er schon nachdenken, gesehen hatte er noch keinen, was sollten die Negser auch damit. Dann fiel ihm ein, dass ihm Eld einmal von einem verwunschenen Ort erzählt hatte, an dem Gase aus dem Boden kamen, giftiges Gelb den Boden überziehe und das Atmen schwerfiele. Das hörte sich nach vulkanischer Tätigkeit an und war immerhin eine Chance.

Aber Salpeter, also Kaliumnitrat! Auch Calciumnitrat oder natriumnitrat würden funktionieren, aber woher sollte er das beschaffen. Er grübelte eine Zeitlang, wobei er sich bei den Tieren bedanken konnte, dass er weder einen Strauch noch einen Zaun ummähte. Dann fiel ihm ein, dass die Negser zwar mit Salz würzten, aber sich gelegentlich auch schon beschwert hatten, dass aus den Bergwerken auch schon mal verdorbenes, bitter schmeckendes Salz geliefert wurde. Das konnte natürlich genauso gut Magnesiumsulfat oder irgendein anderes für seine Zwecke unbrauchbares Salz sein, aber ein Versuch konnte ja nicht schaden.

Beim Mittagessen auf dem Hof fragte er Herg, ob er mit diesem schlechten Salz ein paar Versuche anstellen könne und wo er diesen gelben Stoff finden würde.

Herg grinste.

"Dagolesian hat bei sich zu Hause eine ganze Reihe von Stoffen gesammelt, mit denen wir nichts anfangen können, frag den mal."

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Am Abend fuhr er unter einem Haufen Stroh verborgen in die Stadt. Die Transporte wurden luxuriöser, das musste man sagen!

Dagolesian nahm ihn mit in einen grossen Kellerraum, in dem auf einer ganzen Reihe von Regalen Glasgefässe standen mit Pulvern, Flüssigkeiten und kristallinen Substanzen. Auf einem Tisch befand sich eine einfache Destillationsapparatur, ein paar Mörser, einige leere Glasbecher und weitere Geräte aus der Alchimistenküche.

Paul ging an den Regalen entlang. Der Schwefel war schnell gefunden, auch Holzkohle war vorhanden.

Er untersuchte die Substanzen am Tisch; die Holzkohle pulverte er in dem Mörser, dann machte er dasselbe mit dem Schwefel.

Er untersuchte weiter die Behälter in den Regalen. Wie schon einmal vor einigen Tagen verfluchte er die Tatsache, dass seine Analysegeräte in gasförmigem Zustand um Terkan kreisten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einige der Salze auszuprobieren und zu hoffen, dass sich ein geeignetes Salz darunter befand.

Er wählte acht Gefäße nach Farbe und Konsistenz des Inhalts aus und begab sich wieder zum Tisch.

Zunächst machte er einen vorsjjjjichtigen Geschmackstest, indem er vorsichtig ein paar Kristalle auf der Zunge zergehen liess. Kaliumnitrat schmeckte bitter, daran erinnerte er sich noch, und das schloss die Hälfte der Kandidaten schon einmal aus. Dann löste er ein wenig Substanz in Wasser. Drei der vier übriggebliebenen Salze lösten sich gut, mit diesen dreien musste er es versuchen.

Vorsicjjjjhtig zerrieb er einen gestrichenen Teelöffel von jedem Stoff in einem Mörser, dann mischte er sie etwa im Verhältnis vier zu eins zu eins mit Kohle und Schwefel - die genauen Verhältnisse hatte er nicht im Kopf.

Dagolesian hatte in der Zwischenzeit eine Kerze besorgt, nun kam der grosse Moment.

Paul entzündete einen Holzspan und hielt ihn in den ersten Mörser.

Ein leichtes Flackern war zu sehen, der Schwefel brannte ein wenig, der scharfe Geruch von Schwefeloxiden lag in der Luft. Aber mehr passierte nicht, das wäre ja zu schön gewesen.

Dann näherte er sich mit der Flamme dem zweite Mörser, schon etwas weniger vorsichtig.

Ein heftiges Zischen, eine Stichflamme loderte auf und Funken sprühten umher. Paul erschrak ein wenig, obwohl er ja eigentlich auf etwas ähnliches gehofft hatte.

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Dagolesian war ein wenig zurück gewichen und schaute verdutzt auf Paul.

Der grinste und stiess die Faust in die Luft.

"Damit können wir Kunold einen schönen Empfang bereiten."

"Schön?" fragte Dagolesian verwirrt.

"Nun ja, für uns, nicht für ihn. Sag, können wir von diesem Salz mehr bekommen? Wir brauchen so viel wie möglich, außerdem Schwefel, das ist dieses gelbe Zeug. Holzkohle werdet ihr ja genug haben."

Dagolesian las die Beschriftung des Gefäßes, aus dem das erfolgversprechende Salz stammte, dann nickte er.

"Soviel, wie auf eine grossen Wagen passt, kein Problem."

"Und wie schnell?"

"Ein Tag, wenn es sein muss."

Die nächsten zwei Tage war Paul damit beschäftigt, Holzkohle, Schwefel und das Salz, von dem er annahm, dass es wirklich Salpeter war, in Pulverform zu bringen.

Verschiedene Methoden der Nutzung wurden ausprobiert, schließlich entschieden sich Paul und Dagolesian, der die Versuche mit ihm durchführte, die Geschosse der grossen Armbrüste zu verlängern und sie vorn mit Papphülsen zu versehen, welche mit fest gepresstem Schwarzpulver gefüllt waren. Diese wurden mit einer teerähnlichen Substanz bestrichen, angezündet und sollten zwischen die Angreifer geschossen werden.

Sie probierten ein wenig und erreichten, dass die Explosion so etwa fünf bis zwanzig Sekunden nach dem Aufprall erfolgte. Es war sicher riskant, eine der Versuchsladungen explodierte schon während des Fluges, aber was blieb ihnen übrig.

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Die Produktion lief auf Hochtouren, Paul, Dagolesian, Hedolg und Olami - Bruder und Schwägerin von Eld, wenn Paul das richtig verstanden hatte - schafften zehn, mit fortschreitender Routine auch mehr Geschosse pro Stunde. Die Eliteeinheit der Armbrustschützen aus Negs wurde mit den Geschossen versorgt; nach zwei bis drei Tagen hektischer Arbeit würden alle achtzig mit mindestens zwei Geschossen ausgerüstet sein.

Am Abend des zweiten Tages kam Herg mit besorgter Miene ins Labor.

"Wieder eine Gruppe aus dem Wald im Anmarsch", rief er.

"Wo?", fragte Dagolesian.

Die Negser unterhielten sich in einer Ecke des Raumes, während Paul weiter an den Geschossen arbeitete. Nach einigen Minuten gesellte er sich aber zu ihnen.

"Wie viele sind es?"

"Etwa eine Handvoll. Die kommen in den letzten vier Tagen häufiger."

"Wir müssen herausfinden, was die wollen", sagte Paul. "Und ich gehe mit. Vielleicht können wir sie belauschen, ich verstehe schließlich genau, was die sagen."

Kaum zehn Minuten später bekamen sie über das negser Kommunikationssystem die Meldung, dass die Gruppe nur noch drei oder vier Kilometer entfernt war. Hedolg und Paul gingen los, zwei mit Armbrust und Langdolch bewaffnete Soldaten begleiteten sie.

Der Trupp aus dem Wald lief auf die Mühlen zu, die sich auf dem flussabwärts gelegenen Hügel im Wind drehten.

Durch das Fernglas konnten sie fünf Leute erkennen, offenbar alles Männer.

Plötzlich jedoch drehten die Menschen ab und bewegten sich weiter flussabwärts, weg von dem Hügel mit den Mühlen.

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"Na, falscher Alarm, wie es scheint", meinte Hedolg und wollte schon wieder zurück nach Negs.

"Noch nicht", widersprach Paul und zeigte auf einige zerklüftete Felsen hinter den Mühlen. "Lass uns da mal hingehen, das dauert nur eine viertel Stunde. Ich bin mir nicht so sicher, dass die wirklich wieder gehen."

Hedolg schaute zweifelnd, zuckte dann aber mit den Schultern und nickte dann. Sie gingen in einem weiten Bogen um die Mühlen herum, damit niemand auf Paul aufmerksam wurde.

Einer der Müller saß auf einer Bank neben dem weiß in der Sonne leuchtenden Gebäude. Hedolg rief ihm von weitem zu, dass er die Augen offen halten solle, es seien wieder Wäldler unterwegs. Der Mann winkte zurück und lachte nur kurz.

Sie erreichten die Felsen und Paul spähte vorsichtig flussabwärts, aber da, wo die Gruppe aus dem Wald sein sollte war niemand zu sehen.

Einer der beiden Begleiter legte plötzlich den Finger auf den Mund und bedeutet ihnen, in Deckung zu gehen.

Unterhalb ihres Verstecks waren Stimmen zu hören, menschliche Stimmen, die Gruppe aus dem Wald war also wieder hier.

Paul robbte nach vorn und schaute vorsichtig hinter einem kakteenähnlichen Gewächs hervor. Fünf Leute, alles junge Männer aus der Schutztruppe von Sergeij Kunold. Einer hatte eine Schusswaffe bei sich, die anderen waren mit Dolchen bewaffnet.

Sie kletterten den steilen Abhang hoch, der zur Mühle führte, fluchten immer mal wieder leise, wenn einer zurückrutschte.

Paul versuchte, etwas von dem mitzubekommen, was sie sagten. "Dafür bekommen die gleich mal richtig die Dröhnung." - "... mal ordentlich was ins Essen mischen ..." - "... Mechanismus zerstören ..." - "... keine Probleme mit den Müllern ..."

Langsam entfernten sich die fünf so weit, dass er nichts mehr verstand und er zog sich vorsichtig zurück.

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"Also die wollen offenbar die Mühle angreifen und womöglich zerstören."

Hedolg schaute wieder zweifelnd.

"Bisher haben die Gruppen nie was gemacht."

"Bisher! Lass uns zur Mühle gehen, schnell."

Sie waren noch etwa hundert Meter entfernt, als sie sahen, wie sich einer aus der Gruppe der Menschen von der Rückseite der Mühle aus dem Müller näherte, der neben dem Gebäude im Schatten döste.

Dann ging alles sehr schnell. Zwei leise Schritte, die linke Hand zum Mund, den Dolch mit der rechten über den Hals gezogen und der Müller sackte zusammen. Blut spritzte aus seinem Hals.

Paul stand regungslos da und schaute ungläubig auf die Szene, auch seine Begleiter regten sich nicht.

Er sah, wie sich der Mensch zurückzog und triumphierend nach hinten winkte.

Das war der Moment, in dem Paul aus seiner Erstarrung erwachte. Eine eigenartige Mischung aus Wut, Hass und Verachtung erfasste ihn. Er wandte sich an die beiden Soldaten.

"Ihr trefft doch aus dieser Entfernung, oder?"

Beide nickten.

"Die werden gleich wiederkommen und in die Mühle gehen. Den, der gerade den Müller getötet hat und den, der die Schusswaffe hat. In den Kopf, wenns geht."

Walg, der eine der beiden Soldaten fragte: "Du willst, dass ich deine Leute erschieße?"

"Das", und Paul zeigte wuterfüllt in Richtung Mühle, "sind nicht meine Leute. Das ist Dreck, Müll, der weggefegt werden muss. Weg damit!"

Sie waren vielleicht noch fünfzig Meter entfernt, versteckt hinter einem großen Lastkarren, als die Fünfergruppe hinter der Mühle erschien und sich langsam und vorsichtig auf die Tür zubewegte.

Zu langsam.

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Die Bolzen hatten auf diese Entfernung eine verheerende Wirkung. Sie durchschlugen mühelos die Schädel der beiden Opfer, wobei sie diese fast explodieren ließen. Die drei Überlebenden schrieen laut auf, dann rannten, sprangen, fielen, kullerten sie in Panik den Hügel herunter.

Paul drehte sich der Magen um, als er sich den Leichen näherte, er musste sich beim Anblick der zertrümmmerten Schädel übergeben.

Er zwang sich dazu, die beiden menschlichen Leichen zu untersuchen. Der Anführer, Waldo Newstickle oder so ähnlich, hatte ein Gefäß in der Hand, in dem sich ein weißliches Pulver befand. Er öffnete das Gefäß, um sich den Inhalt genauer anzusehen. Kristallines weißes Pulver, vielleicht einhundert Gramm. Er war schon versucht, ein wenig davon zu probieren, als er einen kleinen Fetzen einer blauen, kunststoffähnlichen Folie zwischen dem Pulver entdeckte.

Die Selbstmordkapseln! Alle Vorräte zusammengeschüttet und dabei war ein wenig von der Hülle aus Gelatine mit hineingeraten.

Die Schusswaffe war gut gepflegt, offenbar verfügten die Menschen im Wald noch über funktionsfähige Waffen. Dann schaute er sich das Magazin an und war überrascht. Zwei Patronen! Nur zwei! Die Munition ging ihnen wohl langsam aus, vielleicht war von Anfang an nicht genug Munition vorhanden.

Er wandte sich an Hedolg und zeigte ihm das Gefäß.

"Das ist genug Gift, um Hunderte, wenn nicht sogar Tausende zu töten. Das wollten die also. Und das reicht jetzt!"

Es würde nach diesen Toten genug Aufsehen in Negs geben, sie verabredeten sich also in Rogulis Hof am Fluss mit Dagolesian, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Auch Redala war mitgekommen.

"Du hast befohlen, deine eigenen Leute zu töten?" fragte sie.

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"Die gehören nicht zu meinen Leuten, das sind die selben, die mich fast erschlagen haben. Und jetzt haben sie einen Wehrlosen ermordet, ohne zu zögern, ohne Gnade." Paul konnte die Wut kaum unterdrücken.

"Ging es dir also um Rache?"

So hatte er es noch nicht betrachtet. Im Endeffekt war das wirklich eine Art Todesstrafe ohne Verhandlung gewesen. Die Frage an die beiden Soldaten, ob sie treffen würden war eine rein rhetorische Frage gewesen. Natürlich, und aus erheblich größerer Entfernung, das wusste er.

Aber hatte es eine andere Möglichkeit gegeben?

"Ich fürchte, es war sehr viel Wut und Hass im Spiel", entgegnete er. "Aber die machen weiter so, wenn man sie nicht stoppt. Die beiden anderen Müller in der Mühle wären ebenso ermordet worden."

Dann, nach einer kurzen Pause: "Nachdem ihr die Menschen, die Wäldler, aus Negs verjagt habt, haben sie im Wald so getan, als seien sie völlig unschuldig und grundlos verjagt worden. Ich habe dann gesagt, laut, ja, wütend, ja, aber nur gesagt, dass man die entgegengebrachte Gastfreundschaft zu achten hat. Das hat mich beinahe das Leben gekostet. Es hat sich schon vorher kaum noch jemand getraut, etwas gegen diesen Teil der Wäldler zu sagen, die haben schon zwei oder drei umgebracht."

"Dann war das sehr mutig von dir."

Paul lachte kurz und bitter.

"Schön wärs, ich bin kein mutiger Mensch. Ich bin nur unbedacht, unbeherrscht, cholerisch. Und ich hasse die Arroganz, Ungerechtigkeit und Herrschsucht dieser Leute. Die glauben, dass sie wertvoller sind als die anderen Wäldler. Und euch halten sie für primitiv und dumm."

"Und du nicht?"

"Wie käme ich dazu! WIR sind gescheitert. In einer einfacheren Umgebung als ihr. Ich hege Bewunderung dafür, wie gut hier alles geht. Oder ging, bevor wir kamen."

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"Dazu gehört bei uns, dass wir jedes leben als wertvoll ansehen", mischte sich Dagolesian ein. "Wir trennen solche Leute von uns und schicken sie in die Berge, dort arbeiten sie und haben so wieder eine gewisse Achtung."

Auch eine Möglichkeit,die waren sicher von den Lebensmitteln aus Negs so abhängig, dass sie sich gut verhielten. Aber dazu war jetzt keine Zeit.

"Die werden angreifen", warnte Paul. "Und ich werde noch mal in den Wald gehen. Ich will wissen, was die vorhaben. Habe ich die Erlaubnis dazu?"

"Du bist ein freier Mann, Paul", sagte Roguli.

Irgendwie schien hier jeder das Kommando zu haben.

"Nun, so ganz frei nicht. Ich bin euer Gast und dankbar dafür, aber ich stehe auch unter eurer Beobachtung."

"Wir vertrauen dir."

Nun gut.

"Ich will mir ansehen, ob die sich vorbereiten auf einen Angriff - wovon ich ausgehe - und wie weit sie damit sind. Und wenn ich Glück habe kann ich vielleicht sogar jemanden belauschen. Und gebt mir bitte einige Blätter Papier und etwas zu schreiben, ich möchte ein paar Informationen zu dem Zwischenfall hier im Wald verteilen."

"Willst du sie auch über unsere Bewaffnung informieren? Vielleicht greifen sie dann nicht erst an."

"Auf keinen Fall. Der Überraschungseffekt wäre dahin und sie könnten sich drauf vorbereiten. Auf gar keinen Fall! Angreifen werden die Verrückten so oder so."

Am späten Abend verabschiedete er sich.

"Ich werde sicher zwei oder drei Tage weg sein. Seid vorsichtig bei der Produktion der Sprengsätze, macht langsam. Wir sollten eigentlich fast schon genug davon haben."

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Paul machte sich einige Sorgen wegen der möglichen Posten auf dem Wachbaum im Wald. Obwohl die Nacht sehr dunkel war, mondlos und leicht bewölkt, versuchte er, die wenigen flachen Hügel und Täler zu nutzen, um unbemerkt in die Nähe des Waldes zu gelangen.

Er schlug einen Bogen, um sich dem Dorf von der Rückseite nähern zu können. Mühsam, langsamer als der direkte Weg, aber er schaffte es, kurz vor dem Morgengrauen den Waldrand zu erreichen. Tagsüber wollte er schlafen und fand eine Stelle wieder, die dicht mit einer Art Brombeerbüschen bewachsen war. Im Inneren war eine kleine Lichtung, gerade groß genug, um es sich richtig gemütlich zu machen. Er zog eine leichte Decke aus seinem Rucksack, trank noch einen Schluck und fiel dann in einen unruhigen Schlaf.

Der lange Marsch hatte ihn sehr erschöpft, er wachte erst wieder auf, als sich die Sonne schon wieder dem Horizont näherte. Er lauschte, aber außer den üblichen Geräuschen des Waldes war nichts zu hören.

Nun begann also der aufregende Teil seiner Mission. Paul kroch aus dem Dickicht, aß einen negser Energieriegel und machte sich auf den Weg, das Dorf musste etwa drei oder vier Kilometer entfernt sein. Auf dem direkten Weg lag einer der kleinen Anbauflächen mit Gemüse, außerdem gab es da auch einen gelegentlich besetzten Wachposten. Beides umging er weiträumig, er konnte aber auf dem kleinen Hof ein paar Leute singen hören, bestens gelaunt und wohl ein wenig angeheitert. Keine hundert Meter entfernt rief plötzlich jemand: "Shut up, wir brauchen hier Ruhe."

Paul schlug das Herz bis zum Hals. Er war dichter an dem Wachposten als er geplant hatte. Nun kannte er aber den genauen Standort des Postens und entschloss sich, näher heranzuschleichen. Vielleicht konnte er ja irgendetwas in Erfahrung bringen.

Es waren zwei aus Kunolds Schutztruppe. Zwei, das war gut, die sprachen sicher ein wenig miteinander. Plötzlich stieß einer der beiden den anderen an, legte den Finger auf die Lippen und leuchtete dann mit einer Lampe in seine Richtung.

Paul erstarrte, aber die Lampe war nur schwach. Er blieb einige Minuten stehen, die Wachen verfielen wieder in ein lockeres Gespräch. Da sich Paul nicht näher heranwagte, bekam er nur Bruchstücke der Unterhaltung mit. Immerhin schien dies der einzige Wachposten zu sein, da sich einer beschwerte, dass sie hier Wache schieben mussten, während alle anderen feierten.

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Feier, das hörte sich ermutigend an. Seine Chancen, ein paar wichtige Dinge in Erfahrung zu bringen, stiegen dadurch.

Problemlos kam er in die Nähe des Dorfs und schlich sich an das Gebäude heran, in dem normalerweise die Führung der kleinen Gemeinde residierte. Schon aus einiger Entfernung bekam Paul mit, dass die Stimmung gut war. Also etwas alkoholisiert, beängstigenderweise aber auch kampfeslustig.

Er musste keine fünf Minuten lauschen, bis er Kunold laut durch offene Fenster tönen hörte: "Noch acht Tage, dann übernehmen wir die Stadt." Jemand warf etwas besorgt ein, dass man Negs nicht unterschätzen dürfe, Paul erkannte Kados Stimme. Kunold tönte weiter: "Wenn wir erst mal ein paar von deren Leuten vom Dach geschossen haben werden die schnell aufgeben." Kado sagte etwas von den sehr begrenzten Munitionsvorräten "... kaum noch 100 Schuss ..." - "Die werden die überlegene Technologie sofort erkennen, diese Primitiven." - "Dein Wort ins Ohr des Allumfassenden", legte Kado noch nach, dann drehte sich das Gespräch wieder mehr um den Nachschub an Trinkbarem.

Paul pries sein Glück, offenbar im richtigen Moment zur Stelle gewesen zu sein und begann, sich vorsichtig zurückzuziehen, da erregte etwas in einer Hütte am Dorfrand seine Aufmerksamkeit.

Durch das Fenster sah er einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Das war erstaunlich, da er - eigentlich - alle Teilnehmer der Expedition zumindest vom Gesicht her kannte.

Er robbte etwas näher an das Fenster und richtete sich etwas auf. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Niemand hatte in diesen wenigen Sekunden das Zimmer betreten oder verlassen, aber der Mann sah jetzt anders aus als zuvor. Er war schlanker und mindestens eine Handbreit größer geworden.

Paul duckte sich, schüttelte den Kopf und schaute dann noch einmal vorsichtig ins Zimmer. Jetzt hatte der Mann graue Haare und Paul erkannte ihn wieder. Es war einer der Leute aus der Wirtschaftsdelegation, den Namen hatte er allerdings vergessen.

Vor der Hütte ging jemand leicht torkelnd vorbei, es war der Mann, der gerade im Zimmer stand, immer noch stand! Dann sprach der Mann im Zimmer. "Bleib ruhig, du bist ausgewählt. Sorge dafür, dass es bei dem Angriff kein Blutbad gibt, keine Toten. Du hast eine große Verantwortung, Paul Aabdahl! Und nun geh, solange dich keiner gesehen hat." "Außer mir", setzte er noch hinzu, Paul meinte ein leises Lachen zu hören. "Geh!"

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